Gokiburi, die 2.
von Peter Nawrot
Gokiburi gibt es nicht nur im trauten Heim (siehe Bericht ‚Gokiburi da’) sondern auch im Büro.
Im Büro? In meinem sterilen, ungemütlichen Büro? Kein Grün, Klimaanlage, keine heimelige Küchenatmosphäre, keine Ritzen in Dielen und Wänden, ständiges Kommen und Gehen ... da sollen sich die lieben kleinen Hausgenossen wohlfühlen? Und seit Jahren hat man doch kaum einen von ihnen erspäht...
Wetten, dass?!
Die hübschen kleinen Eigenheime nennen sich ‚Gokiburi-Haus’, sind einfach selbst zu falten und mit Bildern glücklicher Gokiburi im Kreise ihrer Lieben bei trautem Spiel und Spass bemalt. Es ist geräumig, hat Eingänge (Betonung auf ‚ein’) an allen Seiten, und der Fussbodenbelag ist das reinste Duftkissen für die Hausbewohner in spe. Leider klebt dieser Boden auch ...
Also, nur Mut, Häuschen gekauft, gebaut und aufgestellt – möglichst in irgendwelchen Ecken direkt an der Wand, den vermuteten Rennstrecken der Gokiburi, sofern es sie denn überhaupt im Büro gibt.
Keine Angst, die Eigenheimausgabe rentiert sich. Am nächsten Morgen sieht alles aus wie immer, nur das Häuschen ist jetzt bewohnt, denn es erschallen Geräusche, vermutlich Protest- und Wutgeräusche, die Qualität des Eigenheims betreffend. Schwachnervige Bürojäger ignorieren diese Geräusche, die über die Tage langsam abklingen (die Dauer ist proportional zur Grösse der neuen Bewohner) und entsorgen dann den überdachten Friedhof, ohne hineinzublicken.
Riskiert man einen Blick, sind Gewissensbisse trotz der doch recht fernen Verwandtschaft der Gokiburi zu den Primaten unvermeidlich. Die Falle wird – überwiegend im Türbereich – voll (!) sein mit Gokiburi in allen Grössen, die mit den verschiedensten Körperteilen festkleben und entsprechend dem Klebegrad die wildesten Verrenkungen ausführen. Die kleinen Verbrecher verhungern langsam, vielleicht im euphorisch vernebelnden Duft des Klebers. Vielleicht.
Selbstverständlich setzt die Büroverwaltung nicht auf die Selbsthilfe der Mitarbeiter. Alle drei Monate etwa müssen beim abendlichen Verlassen des Büros alle Lebensmittel mitgenommen, alles Besteck, Geschirr, Kannen usw. sorgfältig verpackt und alle Schubladen und Schränke offen gelassen werden. Nach Arbeitsende erscheinen dann die Ghostbuster und sprühen auf Gokiburi komm’ raus.
Die meisten Büroarbeiter kommen am nächsten Tag sozialunverträglich etwas später, denn die zuerst Eintreffenden müssen mit zugehaltenen Nasen ausgiebig lüften. Tagelang findet man dann in irgendwelchen Ecken und Schubladen dahingeschiedene Gokiburi. Aber keine falsche Pietät, spätestens nach einer Woche kann der geschulte Büromensch wieder leises Rascheln der eifrig an den in der Schublade befindlichen Keksen knabbernden Gokiburi vernehmen ... die Menschheit wird irgendwann einmal wohl untergehen, dann aber werden die Gokiburi oder Verwandte von ihnen unseren Platz einnehmen.