Achterbahn im Tendokan
von Eckhardt Hemkemeier
Nach einigen Begegnungen mit Shimizu Sensei in Deutschland, hatte ich den Mut zu folgender Aktion: In einem Flugzeug von Belgrad nach Hamburg sitzt in der Reihe vor mir ein Japaner. Ich überwinde mich und frage ihn, ob er Shimizu Sensei sei. Auf ein überraschtes »Ja« frage ich ihn, ob ich seine Lehrgänge in Deutschland besuchen darf. Die Gegenfrage, wer mein Lehrer sei, beantworte ich mit Ivo Jovovic, und seine Reaktion ist, dass ich mich nur melden solle. So lernte ich Peter Haase kennen, der mir eine Empfehlung für den Tendokan schrieb.
Mit dem Orchester war ich nun in Japan und konnte zweieinhalb Wochen fürs Aikido dranhängen. Von einer hübschen jungen Frau an der Rezeption des Hilton bekam ich mit erstauntem Blick die Wegbeschreibung. Sie kannte das Tendokan, weil sie in der Gegend wohnte. Quer durchs U-Bahn-Gewimmel erreichte ich Sangenjaya und betrat mit zögerndem Klopfen das Dojo. Ein Europäer machte Krafttraining, begrüßte mich lächelnd und sagte, dass man mich erwarte, aber Sensei sei nicht da, er komme später. Erst nachdem ich mit Bart, dem damaligen Uchi Deshi im Tendokan (und Schüler Jos van Roys), viele Tassen grünen Tee getrunken hatte, erschien Sensei.
Ein paar Tage später traf auch Jos van Roy auch in Tokyo ein.
Ich quartierte mich nun privat in das Englishhouse in Ikebukuro ein, eine heftige Umstellung zum Hilton. Ganz gemütlich, aber herunterkommen, ein traditionelles Privathaus mit dem Flair von asiatischem Verfall und Liebenswürdigkeit. Trotzdem war ich froh, ein paar Tage später zu Jos in das berühmte »Apato« des Tendokan ziehen zu können. Damit begann die erste aufregende Erfahrung: Nach einer Shoppingtour mit Jos kamen wir zu spät zur ersten Trainingsstunde.
Jos meinte, diese sei für Anfänger, also genüge es, wenn wir zur zweiten Stunde gehen. Wir knieten zum Eintritt ab und als ich hochblickte sah ich in Senseis Gesicht, er sagte nur: »Zu spät, umziehen!« Kaum zurück, 20 Minuten vor Ende der ersten Stunde, wurde ich Uke für Sensei. Auf dem Hamburger Dom geht es nicht besser rauf und runter. Senseis Programm an Würfen war beeindruckend. Keuchend durfte ich mich nach 5 Minuten setzen. Dann war Jos an der Reihe. Er war geschickter, er kam langsamer hoch, alles ging langsamer, aber Sensei schalt ihn: »Up ... up!" 'Trotzdem war Jos auch total erschöpft. Danach kamen wir nicht mehr zu spät. Zehn Tage später, nachdem ich Jos mit Sack und Pack, das heißt ungefähr zwanzig Hakama und zehn Dogi, zur Bahn gebracht hatte, traf ich Nagai Sensei im Dojo. Unverzüglich unterhielten wir uns im Umkleideraum über Belgrad, Ivo und die Späße, die dort gemacht wurden. Es kam ein Spaß mit Sensei zur Sprache, den ich hier nicht wiederholen möchte, und alle spitzten die Ohren. Ich bat natürlich um Stillschweigen, nachdem sich alle königlich amüsiert hatten. Trotzdem kam die Geschichte Sensei zu Ohren, und einige Stunden später hatte ich den »Dom« wieder gratis. Achterbahn ist nichts dagegen. Soviel zur Loyalität im Aikido, wenn es um Späße auf anderer Leute Kosten geht. Aber ich werde den Spaß, die freundliche Aufnahme im Tendokan, die ich danach noch viele Male genießen durfte, nicht vergessen.
Sensei gab mir aber auch etwas Ernstes mit auf den Weg: Die Aufgabe der Partner ist das »Nachgeben können«. Uke stört nicht die Technik Nages, so auch Nage nicht das Ukemi des Partners.
Und es gibt keinen Unterschied in Bezug auf das Leben außerhalb des Dojos.