Training im Tendokan
Der Tendokan, das Haupt-Dojo von Tendoryu Aikido in Tokyo/Japan, liegt in der Nähe der Station Sangenjaya der Shintamagawa-Linie (es ist die zweite Station von Shibuya aus in Richtung Futako-Tamagawa, allerdings die erste Station, wenn es ein Kyuko-Schnellzug ist, der nur an wenigen Bahnhöfen anhält), bzw. der Hanzomon-Linie, wie sie bis Shibuya heißt. Diese seltsame Linie ist übrigens innerhalb der Stadt unterirdisch, sonst aber ebenerdig und fährt bis weit außerhalb von Tokyo nach Norden und nach Süden.
Entlang der 24 Stunden am Tag frequentierten Schnellstraße 246 geht es drei Minuten zu Fuß, dann erblickt man bereits linkerhand das doppelstöckige Gebäude mit der Aufschrift ‚Tendoryu Aikido’. Im Erdgeschoß befindet sich eine spartanische Kendo-Karate-Iaido Halle, der Tendokan ist im ersten Stock, und im zweiten Stock wohnen vier Parteien in Zweizimmerapartments (vermutlich alles Schwerhörige).
Der Tendokan besitzt eine etwa 100qm große Trainingsfläche (siehe Bild; rechts hinten sind Garderoben und Duschen, rechts hängen Dogis und Hakamas der Schüler an der Decke).
Es war C’s erster und P’s erster Besuch im Tendokan nach der Renovierung. Die neue Decke und die hellen Holzwände machen das Dojo noch freundlicher und ansprechender. Leider wird die Umgebung des Tendokan-Gebäudes wegen der prekären Platzverhältnisse überall im Großraum Tokyo immer mehr zugebaut.
Bis auf Montag (Ruhetag) wird täglich bis zu zwei Stunden am Morgen (ab 6:30 Uhr) und drei Stunden (ab 18:00 Uhr) am Abend in 45 Minuten Einheiten trainiert. Damit werden zur Zeit wöchentlich 20 Trainingseinheiten für Erwachsene angeboten (daneben gibt es Kinder- und Jugendlichenklassen).
Es sind meist die Aikidoka aus dem Ausland, die nahezu alle Stunden ‚mitnehmen’, da sie während ihres Japanaufenthaltes weniger beruflich und familiär gebunden sind als die Einheimischen. Die 45-Minuten Einheiten vergehen wie im Fluge, aber drei aufeinanderfolgende Einheiten spürt man dann gelegentlich doch – besonders bei tropischen Temperaturen.
Zum Tendokan marschierten wir etwa 25 Minuten entlang der Schnellstraße 246 (die auf Stützen in Haushöhe entlang der normalen Hauptstraße verläuft und Richtung Südwesten die Stadt verläßt). Die ebenfalls parallel führende U/S-Bahn (die von Shibuya kommende Shintamagawa Linie) hätten wir an der Station Ikejiri-Ohashi besteigen können (eine Station bis zum Ziel Sangenjaya), aber bis dorthin waren es auch gut 10 Minuten zu Fuß. Die ebenfalls parallel führenden diversen Buslinien haben wir zumindest zur Frühtrainingszeit nie gesehen, vielleicht starteten sie erst ab 6 Uhr morgens. Der Fußmarsch mußte also auf dem Hinweg zum Dojo zeitlich eingeplant werden, d.h. zum dreimal wöchentlichen Frühtraining klingelte der Wecker um 5:15 Uhr.
Der Heimwegfußmarsch war dann etwas entspannender und doch spannend, weil er an unzähligen Getränkeautomaten mit reichhaltigem Angebot vorbeiführte, die nur darauf warteten, ihre eisgekühlte Ladung für wenig Geld (66 Cent der halbe Liter) auszuspucken, um den Wanderer vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Die meisten der Trainingsteilnehmer – und die Ausländer ganz besonders – waren schon 20-25 Minuten vor Traingsbeginn im Dojo, holten sich ihren Dogi und Hakama von der Stange an der Decke (Dogis und Hakamas dürfen im Dojo aufgehängt werden, da viele Japaner direkt von der Arbeit kommen oder nach dem Training direkt zur Arbeit gehen) und verschwanden in den Garderoben. Die immer wieder aufkeimende Hoffnung, daß der verschwitzte Dogi vom Vortag in der Preßpackung auf der Stange halbwegs getrocknet und geruchsneutral war, blieb immer eine Illusion.
10 Minuten vor Trainingsbeginn waren die meisten der im allgemeine 20-25 Teilnehmer auf der Matte, da auch Shimizu Sensei oder der jeweilige Trainer etwa um diese Zeit aus dem Büro kam. Ein leichtes Aufwärmen vor dem Training ist ratsam, sollte aber die meditative Grundstimmung der Nichtaufwärmenden nicht durch zu heftige oder gar geräuschvolle Bewegungen stören. Ein ‚Herumjoggen’ im Dojo ist undenkbar – auch aus Platzgründen.
Eine Verneigung der Gruppe zum Tendo-Zeichen in der Tokonoma (heiliger Platz im Dojo) leitete nach kurzer Meditationshaltung in ein oder zwei Reihen das Training ein. Übrigens gibt es im Tendokan kein Bild von O-Sensei.
Die Techniken sind – natürlich – die gleichen wie auf den Lehrgängen im Ausland, allerdings wird viel weniger abgerollt und frei gefallen, da die meist große Zahl der Teilnehmer das im allgemeinen nicht zuläßt. Es war schon etwas Besonderes, wenn bei weniger Anwesenden Techniken lehrgangsmäßig ausgeführt werden konnten.
Meist werden in den 45 Minuten einer Einheit drei Techniken gezeigt und trainiert. Shimizu Sensei erzählt häufig etwas über den Geist des Aikido und über seine Lehrgangserfahrungen im Ausland. Die anderen Trainer sind zur Zeit Watanabe Sensei (6. Dan), Nagai Sensei (5. Dan), Takahashi Sensei (4. Dan), Sato Sensei und Waka Sensei (3. Dan). Wenn Shimizu Sensei im Dojo ist, unterrichtet er auch meistens. Wenn nicht, dann wechseln sich die anderen Trainer ab. Die Unterrichtsstile sind etwas unterschiedlich, doch die Trainer versuchen, ab und zu mitzutrainieren, wenn es die Teilnehmerzahl zuläßt.
Die meisten japanischen Aikidoka sind etwas lockerer und weicher, als wir es gewohnt sind, was sehr angenehm auffällt. Ausnahmen bestätigen die Regel, es gibt auch steifere Japaner, bzw. Neueinsteiger mit anderer aikidospezifischer Vergangenheit. Während des Trainings wird seitens der Aikidoka nicht geredet, die Techniken werden studiert und trainiert aber nicht diskutiert. Auch Kampfschreie oder geräuschvolles Ausatmen sind nicht üblich. Neuanfänger werden ein paar Wochen intensiv von fortgeschrittenen Schülern oder von Trainern betreut und dann zügig in die Gruppe integriert. Anfänger und Fortgeschrittene von 14 Jahren bis nach oben offen trainieren gemeinsam. Allerdings gibt es seit etwa einem halben Jahr einmal monatlich (freitags, dritte Einheit) ein Fortgeschrittenentraining ab 1. Dan.
Nach jedem (!) Training wird die Matte feucht geputzt, alles wuselt mit winzigen Lappen (die dann gleich danach in der Waschmaschine verschwinden, um für die nächste Putzrunde wieder fit zu sein) auf den Knieen quer durch das Dojo. Wer keine freie Bahn zum Putzen ergattern konnte, wischte Fensterrahmen oder Einrichtung – manchmal dann auch mehrmals, denn wer will schon tatenlos herumstehen, während alle eifrig putzen? Für über 60 Jährige soll es Ausnahmeregelungen geben, doch habe ich niemanden, den ich in diese Altersklasse einordnen würde, sich dem Gruppendruck entziehen sehen.
Nach dem Putzen eine kurze Pause, Kleider ordnen, und dann folgte die nächste Runde. Nach der dritten Einheit (und dem dritten abendlichen Putzen) steht das Dojo noch eine Weile für freies Training zur Verfügung.
Nach dem Training schleppten wir uns ausgedörrt mit letzer Kraft zum nächsten Getränkeautomaten und nahmen nach der ersten Labung wieder den aufrechten Gang ein.
Nach dem Frühtraining besuchten wir dann meist unser Frühstücks-Cafe (wir probierten mehrere aus), wo es für etwa 3 Euro Kaffee (oder Tee), zwei gut belegte (Ei, Thunfisch, Salat) Sandwiches und einen kleinen Salatteller gab. Bei nahezu jedem Wetter saßen wir draußen und begutachteten die vorbeieilenden (sie eilten immer !) Einheimischen. Was gibt es Schöneres nach dem Training als ein wohlverdientes Frühstück? Zwei Frühstücke?!
Exzellente Trainer, viele Unterrichtseinheiten, gute Partner, eine angenehme Atmosphäre im Dojo – wo soll die nächste Urlaubsreise für den eifrigen Aikidoka hingehen ...!
C&P