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Die Stärke der Natur

Kawaraban Nr. 58

05/2004

von Kenji Shimizu

Ich benutze häufig bei den Erklärungen einer Technik die Worte „ganz natürlich“. Der Grund dafür ist, dass ich denke, wenn man die Basis für die Aikidotechniken geschaffen hat und sich dann mit Selbstvertrauen bewegt, die Techniken auf natürliche Weise entstehen werden. Natürlichkeit bedeutet das Loslassen des unnötigen Selbst (einem künstlich-geschaffenen Selbst).

Im Zen wird das wohl „mushin" genannt. Mushin ( leeres Herz, in der Bedeutung von reines Herz) bedeutet nicht, kein Herz zu haben, sondern dass das Herz grenzenlos und von Ki erfüllt ist.  Daraus entsteht eine unendliche Vielzahl von Variationen und Bewegungen.

Vor 4 - 5 Jahren auf der im Tendokan üblichen Kagamibiraki-Feier erklärte ich in meiner Ankündigung zur feierlichen Demonstration, den Zusammenhang von Körper und Geist mit den Worten „der Geist kontrolliert den Körper“. Später während der Stehparty kam der ehemalige Kapitän eines Walfangschiffes der Forschungsabteilung der Fischereibehörde auf mich zu und meinte: „Ihre Worte von vorhin entsprechen voll und ganz dem, wie wir uns fühlen, wenn wir auf See in ein Unwetter geraten. Wenn wir nicht Ruhe bewahren würden, käme es zu einem Unglück.“ Und er betonte: „Wenn man inmitten eines Sturmes sich unruhig windet und gegen die Natur handelt, gerät man noch viel tiefer in den Schlamassel. Weil man nicht gewinnen kann, wenn man sich den Naturgewalten widersetzt, passt sich der Steuermann den rauhen Wellen an, wird mit dem Schiff zu einer Einheit und wartet auf Wetterberuhigung. Das ist das Beste. Das ist auch das Geheimnis des Aikido.“

Im Aikido widersetzen wir uns nicht dem Angriff des Partners und bekämpfen ihn, sondern wir verbinden uns durch die Kikraft mit dem Partner und nehmen ihn auf. Weil das natürlich nicht nicht so leicht zu erreichen ist, ist ein ständiges Wiederholungstraining erforderlich. Dadurch lernt man die Stärke der Natur und die Kraft des Gegners zu nutzen.

Wenn die Naturkräfte lebendig strömen, entsteht Stärke und Brillianz. Aber es ist ausgesprochen schwierig, alle Dinge auf natürliche Art und Weise zu tun; wenn man etwa direkt mit einer Gefahrensituation konfrontiert ist, stockt der Kraftfluss und der Körper verhärtet sich. Es sind nämlich Mut und Bereitschaft erforderlich. Weil jeder um sich selbst besorgt ist, wird er dazu tendieren, eine Aktion, vor der er Angst hat, nicht durchzuführen. Jedoch wenn man um sich besorgt ist, aber über lange Zeit Disziplin und Trainingserfahrung gesammelt hat, werden sich Arme und Beine wie auch der Körper frei bewegen. Wenn das Herz an nichts mehr hängt, werden spontane (natürliche) Bewegungen möglich, die durch nichts beschränkt werden. Hier entsteht die Möglichkeit, mit freiem Herzen welche Technik auch immer anzusetzen. Das heisst für uns: „Natürlich werden“!

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 06/2004