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Die Suche nach einem gesunden Geist

Kawaraban Nr. 69

01/2007

vom Leiter des Tendokan, Kenji Shimizu

Ich wünsche Ihnen ein glückliches Neues Jahr.

Es ist mittlerweile zur allgemeinen Gewohnheit geworden, sich am Jahresende und am Jahresanfang zuhause wieder zu erholen. Wenn man Erholen sagt, so klingt das gut, und ich lese in aller Ruhe die Bücher und Zeitungen, die sich inzwischen angesammelt haben. Und dabei stösst man auf Artikel, die einen unwillkürlich ansprechen. Der frühere alte Oberpriester Taido Matsubara vom Ryugen-Tempel der Rinzai-Sekte hat folgendes geschrieben: „Im Westen wird gesagt, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt, aber im Orient sagt man umgekehrt, dass ein gesunder Geist einen gesunden Körper erzeugt“, und das unterscheidet sich.

Auch ich habe in der vorigen Ausgabe des Kawaraban dieselbe Ansicht vertreten, und laut Herrn Matsubara ist es die westliche Einstellung, dass ein ’gesunder Körper’ erst einmal die Voraussetzung ist, und er erklärt, dass man im Orient im Gegensatz dazu die Betonung auf den ‚gesunden Geist’ legt.  Und das ist ein sehr interessanter Hinweis, denke ich. Er geht davon aus, das Körper und Geist nicht getrennt betrachtet werden dürfen. Wenn der geistige Zustand gesund ist, werden auch die Aktivitäten des Körpers gesund. Das ist vernünftig.

Laut jenem Zen-Priester “ist es der Grundgedanke des christlichen Glaubens, dass das Leben lebenswert ist, aber im Buddhismus ist der Ausgangspunkt, dass das Leben mit Leiden verbunden ist“, und ich kann mich auch an Artikel erinnern, in denen der Unterschied zwischen diesen Religionsauffassungen leicht verständlich dargestellt wurde. Auf meinen Lehrgängen im Ausland komme ich in Kontakt mit sehr vielen Ausländern, und das Vermitteln der Kultur des japanischen Geistes hat mir persönlich zu sehr vielen positiven Erfahrungen verholfen.

Heutzutage vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Erziehungsprobleme berichtet wird, und diese Probleme sind ernst. Aber Kritiker und Verantwortliche im Ministerium für Bildung und Erziehung sind trotz wiederholter Diskussionen total frustriert, da es nicht so läuft, wie sie sich das vorstellen, und sie sind von der aktuellen Problemlösung weit entfernt. Es ist sinnlos, dass wir ohne die Berücksichtigung der Kindern, die genau dabei eine Hauptrolle spielen müssten, über Erziehung diskutieren.

Ich weiss nicht genau, ob die Japaner mit einer materiellen Einstellung, die gefärbt ist von einer auf die Wirtschaft konzentrierten Denkweise, reich geworden sind, aber sie haben die Kraft verloren, selber zu denken. Sie schauen in egoistischer Weise nicht auf ihre Geschichte und die Natur zurück, und geistig gesehen sind wir zu einer armen Nation geworden. Es ist nicht allein der Verrohung der Kinder zuzuschreiben, dass die Japanische Gesellschaft und das Land sich so schlecht entwickelt haben. Es wird keinen neuen Anfang geben, wenn nicht erst einmal die ganze Gesellschaft zu einer gesunden geistigen Einstellung zurückfindet.

Ich hatte die Absicht, meinen Sohn, der nun zum Uchi-Deshi geworden ist, in verschiedene Dojos in Japan zu schicken, damit er so Erfahrung sammelt, und zufälligerweise sprach ich mit einem hervorragenden Deutschen Aikido-Schüler darüber. Und darauf gab er (Olaf Müller) mir die ganz klare Antwort, dass „es wohl die bessere Alternative wäre, wenn sich mein Sohn stattdessen ins Ausland begeben würde“. O. Müller besitzt den Doktortitel, er ist der Verantwortliche im Staatsdienst für die kommunale Wasserversorgung in Deutschland, und er hat mehr als 1000 Angestellte unter sich. Natürlich ist er eine Persönlichkeit, die das Tendoryu Aikido ganz besonderes gut verstanden hat, und er ist ein Trainer, in den ich nach mehr als 25 Jahren freundschaftlicher Beziehung größtes Vertrauen setze. Und dieser Schüler hat vor mir, der ich ein Japaner bin, mit diesen Worten implizit gesagt „ich bin besorgt über des heutige Japan“, und das ist eine Erinnerung, die bei mir zu sehr komplexen Gedanken führte.

Wie zeigt sich ein gesunder Geist? Wenn das vom Standpunkt von jemandem, der sich mit Aikido beschäftigt, erklärt wird, so zeigt sich ein gesunder Geist durch Mut und Bereitschaft bei der Verwirklichung dessen, was man selbst als richtig erachtet. Das nämlich ist ein mutiges Handeln. Und das ist wohl eine wichtige Norm, die das heutige Japan verloren hat.

Auch wenn wir zum Beispiel im Training technisch besser und etwas stärker werden, wenn damit kein mutiges Verhalten einhergeht, so entsteht auch keine Rechtschaffenheit.

© übersetzt von Ichiro Murata und Peter Nawrot 01/2007