Harmonie oder Stärke
Kawaraban Nr. 82
10/2010
vom Leiter des Tendokan, Kenji Shimizu
In einer bekannten Zeitung wurden die folgende Worte von Motonari Mouri (1497 – 1571, ein Fürst in der Sengoku-Zeit) wiedergegeben: „ Der Frieden im Clan ist der Beginn des Aufruhrs“.
Die Anführer sollten nicht nur auf Harmonie wert legen, um alles gut verlaufen zu lassen. Wenn man nur auf Harmonie achtet, verliert man mit der Zeit die Fähigkeit, das Böse zu bestrafen. Was die geistige Haltung eines Top Leaders betrifft, so „sollten wir nicht Menschen eine wichtige Stellung geben, die nur Frieden und Harmonie schätzen.“ Das sage ich, weil Menschen, die Harmonie wertschätzen, normalerweise in ihrer Firma eine gute Reputation besitzen. Daher werden die Menschen nur harmonisches Verhalten empfehlen, andererseits aber die Fähigkeit verlieren, Böses zu bestrafen und Gutes zu belohnen. Weil man sich nur Sorgen macht, wie man die Sicherheit der Organisation aufrechterhalten kann, werden sich innerhalb kürzester Zeit Risse zu zeigen beginnen. Wenn die Risse größer werden, werden die Aueinandersetzungen im Innern der Firma heftiger werden, und die Organisation wird zerfallen. Wenn wir das auf die heutige Gesellschaft beziehen, so heißt das, „daß wir bei Menschen in Führungspositionen nicht nur allein auf Harmonie achten sollten, damit alles glatt geht.“
Auch Menschen wie Unternehmensleiter, die in ihre Grußworten sagen, daß „sie mehr als alles andere die Harmonie schätzen“, betonen in ihrer Abschiedsrede beim Rücktritt die Ergebnisse der Wertschätzung der Harmonie mit den Worten „glücklicherweise konnten wir durch eine Periode ohne größere Sicherheitsprobleme gehen“. Aber wenn jemand sich in der heutigen krisengeschüttelten Zeit nur darauf beruft, durch eine Periode ohne größere Sicherheitsprobleme gegangen zu sein, so ist das ein Synonym dafür, daß er überhaupt nichts getan hat. Der Autor Doumon Fuyuji (1927 - ) hat gesagt: „Wenn man eine Krise bewältigen will, dann macht man sich immer jemanden zum Feind. Das ist eine Form der Auslese bei einer Krisenbewältigung“.
Das fühle ich unmittelbar ganz besonders in der heutigen Gesellschaft. Das heißt im Falle von Fehlverhalten ist man ziemlich schwach in der Bereitschaft, solche Fehler zu tadeln und vernünftige Regeln durchzusetzen. Der gegenwärtige Zeitgeist ist es, bei einer Krise so zu tun, als ob sie einen nichts anginge. Die heutigen Japaner haben seit langem ihre Stärke verloren. In meiner Kinderzeit wurde ich, wenn ich mich falsch verhielt, auch von Erwachsenen, zu denen ich keinen Bezug hatte, darauf hingewiesen und ermahnt. Heute gibt es keine Menschen mehr, die ermahnen. Wenn wir ein Verhalten sehen von Kindern, die heute von niemandem mehr ermahnt werden und die erwachsen geworden sind, ohne zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können, dann mache ich mir Sorgen um die Zukunft Japans.
Wenn man beispielsweise ein eigensinniges und selbstsüchtiges Kind, das in die Kindergruppe eingetreten ist, wegen seines Egoismus ein wenig bestraft, gibt es sofort einen Beschützer, der protestiert. Ist ein solches Verhalten nicht ein Beweis dafür, daß die Willenskraft der Eltern abnimmt, ihre Kinder zu erziehen? Es könnte zwar sein, daß es nur wenige derartige Eltern gibt, aber früher gab es solche Eltern garnicht. Stattdessen haben die Eltern früher ihre Kinder ermahnt, aber heute ist das ganz anders. Wenn das so ist, müssen wir im heutigen Japan eben für eine Erziehung der Kinder zu respektvollem Verhalten sorgen.
Ich schrieb zuvor über Stärke, und es ist das Ziel im Tendoryu Aikido, sich durch die Wiederholung von Formen und Techniken menschliche Stärke (Ki-Kraft durch die Flexibilitä von Körper und Geist, innere Stärke) anzueigenen. Budo ist nicht dasselbe wie Sport, und das Ziel sollte es sein, durch Bu auf einen menschlichen Weg zu gelangen.
© übersetzt von Ichiro Murata und Peter Nawrot 11/2010