Herzogenhorn nach einem Jahr
Kawaraban Nr. 43
07/2000
von Kenji Shimizu
Ich war nach einem Jahr Pause wieder zum Unterrichten nach Deutschland gefahren. Der Lehrgangsort nennt sich Herzogenhorn (im Süden Deutschlands gelegen, in den Bergen des Schwarzwalds, 1350 m hoch), inmitten einer herrlichen, klaren Landschaft. Hier beginnen jedes Jahr im Sommer die Lehrgänge.
Auf dem Seminar haben sich die Tendōryu-Schüler aus allen Ländern um den Zustand meiner Knie nach der Operation gesorgt, und jedes Mal, wenn ich mitfühlende Worte zu hören bekam, spürte ich ihr grosses Mitgefühl. Beim dem zweiwöchigen Seminar haben insgesamt 120 Schüler teilgenommen, wobei die Gruppe der ersten Woche mit 60 Schülern von einer zweiten Gruppe abgelöst wurde. Die Deutschen bildeten die Hauptgruppe, für die Schüler aus anderen Ländern gab es ein Kontingent von nur 20 Leuten, es war recht streng geregelt.
Auch dieses Jahr haben sich Schüler aus Holland, Belgien, Frankreich, Slowenien, Spanien, Amerika und Mexiko eingefunden.
Die Besonderheit dieses Mal war, dass der Generalkonsul Herr Nakane vom Japanischen Generalkonsulat in München eigens den Lehrgangsort besuchte und mehr als eine Stunde in aller Ruhe dem Training zusah. Herrn Nakane, den ich erst kürzlich durch die Vermittlung eines Bekannten im Juni in Tōkyō getroffen hatte, war vom Kulturaustausch von japanischer traditioneller Kultur mit ausländischen Teilnehmern begeistert. Und schöner als alles andere war, nach dem Training gemütlich auf der Terasse zu sitzen und, während man auf das brilliante Grün des vor einem liegenden Plateaus blickte, miteinander zu sprechen.
Weiterhin wurde ich beim Zwischenstopp in München in die Konsulatsresidenz eingeladen, und auch die mich begleitenden acht Deutschen waren hoch erfreut über den alle Erwartungen übertreffenden Empfang.
Ein weiterer Unterschied zu anderen Jahren war, dass ich meinen Sohn (Kenta, 17 Jahre) auf seinen Wunsch hin am Seminar habe teilnehmen lassen. Die Schule war uns durch die Gewährung einer sogenannten Freistellung entgegengekommen, doch hatte ich Sorge, ob er bei diesem bedeutenden Training mit der robusten Körperkraft der Deutschen mithalten können würde. Und die Deutschen wechselten sich nach einer Woche ab, und so machte ich mir tief in meinem Herzen Gedanken, wie gut mein Sohn beim Training, bei dem man im allgemeinen 2-3 kg an Gewicht verliert, nicht nur die zwei Wochen in Folge sondern auch als erster japanischer Teilnehmer durchhalten können würde.
Trotz allem hat er bis zum Ende durchgehalten. Neben dem Training hat er zur Vertiefung des Kulturaustausches beigetragen. Beim Abendessen hat er sich ganz natürlich unterhalten, und er blieb bis spät am Abend am Tisch sitzen und plauderte.
Ich brauchte mir keine Sorgen zu machen, auch wenn er wieder nicht früh zu Bett gegangen war, um sich auf das Morgentraining vorzubereiten, so hat er doch am nächsten Morgen trainiert, so gut er konnte. Wenn ich zu ihm sagte: „Du strengst Dich wirklich an“, kam zur Antwort: „Schliesslich bin ich Japaner und bin für das Training so weit gefahren, dass ich mir keine Schwäche anmerken lasse.“
Er zeigte mir, dass er, obwohl er noch ein Kind ist, bereit ist teilzunehmen. Vermutlich hat er doch etwas verinnerlicht als Ergebnis seines Aikidotrainings, das er mit 5 Jahren begonnen hat.
Doch wenn ich zum Beispiel des Türaufhalten nehme und sein Verhalten mit dem der Europäer vergleiche, die diese zwischenmenschlichen Umgangsformen verinnerlicht haben, spürte ich seine Unerfahrenheit.
Ohne Manieren ist man kein weltgewandter Mensch. Daher glaube ich, dass es eine gute Lehre für ihn war.
Was mich selbst betrifft, so nehme ich mir jedes Mal, wenn die Zeit der jährlichen Seminare kommt, vor, beim Unterrrichten einen Schwerpunkt darauf zu legen, auch bei Widrigkeiten Ausdauer zu zeigen, Integrität zu behalten und den kämpferischen Geist des Bushidō, sowie die Ki-Kraft zu stärken. Ich bin zwar Aikidō-Lehrer, doch bei dieser Arbeit treffe ich während des Unterrichtens auf verschiedene Dinge, die ich lernen muss, und ich möchte auch in Zukunft das eigene Studium nicht vergessen.
© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 02/2004