Sich aufrichten
Kawaraban Nr. 8
10/1991
von Kenji Shimizu
Japan wird bereits seit langem als wirtschaftliche Großmacht bezeichnet, aber in Wirklichkeit scheint es nur wenige Bürger zu geben, die das Gefühl haben, unser Land sei eine wirtschaftliche Großmacht.
Ist es nicht so, daß die japanische Regierung der Sicherung der Profite der Unternehmen eine größere Priorität einräumt als dem Leben der Bevölkerung? Deshalb folgen die Unternehmen dem Prinzip der Gewinnoptimierung und laufen nur dem Profit nach. Auch wenn man heutzutage gelegentlich auf Reisen geht, ist man über das hohe Preisniveau der Ferienorte sprachlos. Im Westen gibt es eine deutliche staatlichen Pflicht, in höchstem Maße Sicherheit und Schutz zu bewahren, sodaß die Menschen sorgenfrei leben können. Folglich hat man auch Vertrauen in die Politik. Wie aber ist die Situation in Japan? Es ist äußerst zweifelhaft, ob es einen politischen Plan gibt, der für die Sicherheit und den Schutz der Bürger sorgen soll. Sicherlich muß sich Japan, was Kleidung und Lebenmittel anbelangt, nicht des Namens einer Wirtschaftsgroßmacht schämen, doch beim Lösen von fundamentalen Problemen des Lebens ist Japan ein Kleinstaat. Eine Großmacht wird Großmacht genannt, genau weil sie Lösungen für Grundprobleme wie Grundbesitz und Wohnen, das Altenproblem, das jeden einmal trifft, das wichtige Thema der Behindertenproblematik hat, und die Liste läßt sich endlos weiterführen. Ein weiterer Punkt, über den man nachdenken sollte, ist das aufkommende Problem des Verfalls von Moral und Benehmen. Ursprünglich besaßen Japan und die Japaner Würde, doch wo ist sie geblieben . . . Haben wir das verdient?
Ich denke, daß ich nun ein wenig auf unser Gebiet, das Thema Budo, zurückkehre. In Japan haben sich seit langer Zeit die verschiedensten Budoformen (bujutsu) entwickelt, und darunter befand sich auch die einzigartige Budoform namens `Jujutsu`. Sie entstand und wurde weiter entwickelt aus der Notwendigkeit, in den Kriegszeiten effektiv kämpfen zu müssen. Das Wesen dieser Angriffs- und Verteidigungskunst war der waffenlose Kampf, doch es wurden auch Waffen benutzt, wenn man einem Feind gegenüberstand, der sowohl bewaffnet als auch unbewaffnet sein konnte.
Es wird gesagt, daß nach dem Ende der Zeit von Oda Toyotomi und zu Beginn der Tokugawa-Zeit die Entwicklung schnell voranschritt. Als die Kriege zuende gingen und das Zeitalter des Friedens sich ausbreitete, wurden nicht nur die Techniken derartiger Kampfkünste weiterentwickelt, sondern es waren die Techniken auch ein Weg, die Theorien zur Meisterung des Geistes zu vervollständigen und die Persönlichkeit zu trainieren, und es entstand das für das Bujutsu unentbehrliche mentale Training der Samurai. Daher wurde das Moralgesetz der Kriegerklasse, ‚Bushido’, entwickelt, seit der Kamakura-Zeit weiterentwickelt und in der Edo-Zeit zur Unterstützung der konfuzianischen Lehre vollendet.
Es war ein Geist, der Dinge wie Loyalität, Opferbereitschaft, Glaube, Manieren, Aufrichtigkeit und Ehrgefühl beinhaltete. Und hat dieser Geist des Bushido unserer heutigen Welt nicht viel zu sagen, weil er einen wertvollen Beitrag zur Charakterbildung von Menschen, die ohne Verhaltensregeln aufwachsen, liefert?
Das Jujitsu, das in den Kriegszeiten entstand, hatte den blutigen Hintergrund, in erster Linie einen Gegner zu besiegen und den kritischen Augenblick zwischen Leben und Tod zu trainieren. In der Friedenszeit entstand daraus entsprechend der geistigen Entwicklung das vornehme ‚Bushido’. Man könnte die Idee verfolgen, daß im Zuge der Nachkriegsrestauration, nachdem Japan ein beträchtliches Wirtschaftswachstum erreicht hat, es nun an der Zeit ist, diesen Weg einzuschlagen. Leben wir nicht auch in einem Zeitalter, in dem man die Handelspartnerländer nur in einem blutigen Kampf besiegt? Sollten wir nicht danach streben, eine Wirtschaftsmacht zu sein, die die Betonung darauf legt, den Partner am Leben zu lassen ?
© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 10/2005