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Der serbische Geist

Kawaraban Nr. 84

06/2011

Tendokan Dojo Leiter Kenta Shimizu

Serbien ist in der Tat ein interessantes Land, und als wir von Serbien nach Deutschland zurückkehrten, fühlten wir einen erheblichen Unterschied in der Atmosphäre, obwohl es sich um das gleiche Europa handelte.

Belgrad, die serbische Hauptstadt, ist eine Stadt, die den Menschen eine majestätische Geschichte fühlen läßt, und es wird noch eine Weile dauern, bis Abgasprobleme entstehen werden. Wenn man ein wenig in die Außenbezirke geht, sieht man entlang der Straßen überall im Bau befindliche Häuser, und auf den Straßen fahren Autos, die gerade noch verkehrstüchtig sind, andererseits sind normale Autos auch nicht ungewöhnlich. Die serbischen Männer sind groß, ihr Blick ist ungewöhnlich intensiv, und man fühlt sich fixiert, wenn sie einen ansehen.

Doch jedes Mal in Serbien brennen in mir herzerwärmende Erinnerungen für lange Zeit. Als ich von der Erdbebenkatastrophe im Osten Japans hörte, waren wir am Tage zuvor im serbischen Kragujevac angekommen, und es war der zweite Morgen am nächsten Tag. Es war sicher, daß in Japan ein großes Erdbeben stattgefunden hatte.

Sogar in Serbien, das von Japan weit entfernt ist, konnten wir täglich Neuigkeiten über das Erdbeben erfahren; die wie in einem Film wirkenden Verwüstungen der Tsunami, außerdem der Unfall in den Atomkraftwerken und ein Erdbeben, das es mit den Folgen in der Vergangenheit noch nicht gegeben hatte.

Die Lehrgänge dauerten dieses Mal insgesamt drei Wochen, und nach der ersten Woche waren wir nun in Serbien eingetroffen. Es war während des Aufenthaltes in Serbien ungewöhnlich schwierig, mich für vier Tage unbeeinflußt auf den Lehrgang zu konzentrieren. Ich fragte mich wiederholt, ob man in dieser Situation wohl Aikido praktizieren sollte; in der Tat konnte ich mich nicht wie gewohnt verhalten, und ich sagte mir täglich selbst, daß mir jedenfalls nichts anderes übrigbleibt, als mich auf das Training zu konzentrieren. Beim Training wurden die Gedanken frei, und ich ließ mich von dem Unbehagen über das Erdbeben in Japan ablenken, aber sonst war ich in der ganzen übrigen Zeit damit beschäftigt, auf dem Mobiltelefon Neuigkeiten abzufragen.

Es war am Morgen nach dem Ende des viertägigen Lehrganges in Kragujevac, als wir uns zum nächsten Lehrgangsort Berlin auf den Weg machten. Mit dem Auto dauert es von Belgrad zum Flughafen etwa anderthalb Stunden. Marko nahm uns in seinem Auto mit, und wir waren auf dem Weg zum Flughafen. Marko ist für einen Serben recht klein und ein schweigsamer Charakter. Er war bisher zweimal in Japan, und er sagte mit einem lächelndem Gesicht, daß er sich in Japan wohlfühlt, weil er da mit seiner Körpergröße gut hinpaßt. Er ist von schweigsamen Natur, und Englisch ist auch nicht seine starke Seite, aber wenn anfängt, über seine Gefühle für Japan zu sprechen, stört ihn das nicht.

Auch am Morgen, als wir auf dem Weg zum Flughafen waren, begann Marko, als er sah, wie ich mit gerunzelter Stirn die Neuigkeiten auf meinem Mobiltelefon überprüfte, mit beruhigender Stimme zu sprechen.

“Serbien hat in den vergangenen 20 Jahren dreimal die Erfahrung eines Krieges durchgemacht. Und auch schon davor gab es die traurige Geschichte von diversen Kriegserfahrungen. Trotzdem sind die Serben nach jeder Kriegserfahrung stärker geworden. Daher muß auch Japan nun stark werden. Ich weiß, daß in dem Geist der Japaner die Stärke liegt, Schwierigkeiten überwinden zu können. Davon bin ich überzeugt.“

Während des aktuellen Aufenthaltes in Europa hörten wir in der Tat von den Schülern aus vielen Ländern in aller Welt besorgte Stimmen und erhielten ermutigende Worte. Insbesondere die Serben besitzen noch die ursprünglichen Gefühle der Menschen, mit anderen mitfühlen zu können, und sie sind immer sehr warmherzig, gerade weil sie weit mehr als wir erfahren haben, was der Verlust wichtiger Dinge bedeutet und weil sie Sorgen und Schmerzen überstanden haben. Und diese Menschen, die derartige Erfahrungen gemacht haben, betreiben mit großer Ernsthaftigkeit Aikido. Aus der Geisteshaltung des Aikido wollen sie ‚Stärke’ erlernen.

Die Maßnahmen der Japaner wurden oft in den ausländischen Nachrichten mit Bewunderung aufgenommen, und eben ganz besonders, daß man trotz einer Situation, in der man leicht in Panik geraten könnte, Rücksicht auf andere nimmt und opferbereit ist.

Heutzutage sind die zwischenmenschlichen Beziehungen sehr oberflächlich geworden, und so ist das große Erdbeben, das sich in Japan ereignete, wieder einmal ein Gelegenheit, über menschlichen Beziehungen nachzudenken. Jetzt müssen wir zusammenhalten und nach vorne schauen.

Ich hatte Markos Worte noch im Gedächnis und konnte während der übrigen Lehrgangstage voller Stolz, Aikido zu unterrichten, meine Aufgaben erfüllen. Ich möchte ihm aus tiefstem Herzen dafür danken.

© übersetzt von Ichiro Murata und Peter Nawrot 08/2011