‚Hakushi‘ und die Anfänger
Kawaraban Nr. 90
02/2013
Tendokan Dojo Leiter Kenta Shimizu
Die Phrase „Kokoro wo hakushi ni suru“ („Das Herz bzw. den Geist zu einem unbeschriebenem Blatt machen“) hören wir sehr häufig.
Diese Worte dienen dazu, unser Selbst zu disziplinieren, damit wir den Anfängergeist nicht vergessen. Aber ist es nicht ein großes Missverständnis, diesen geistigen Zustand erreichen zu wollen, indem wir nur mit großer Anstrengung Schweiß fließen lassen und sozusagen den Körper rein mechanisch trainieren? Andererseits sollte man sich nicht zu sehr den Kopf zerbrechen, ich denke, es genügt, wenn wir einfach miteinander mit reinem Herzen trainieren …
Etwa 3 Monate lang nach dem Eintritt trainiert ein Anfänger täglich wirklich enthusiastisch. Gleichzeitig trainieren Dan-Träger ebenfalls 3 Monate eifrig. Doch der jeweilige Fortschritt ist er beim Anfänger wahrscheinlich grösser. Das liegt daran, dass es für Schüler, die mit Aikido beginnen, anfangs sehr viel mehr zu lernen gibt.
Man merkt sich die neuen Techniken, lernt im Dojo die unterschiedlichsten Menschen kennen und kann neue Freunde gewinnen. Auch wenn es sich um die gleichen 3 Monate handelt, so sind sie doch für die Anfänger sehr viel ergiebiger.
Die Frische der Herzen der Anfänger. Wir wollen die Techniken schnell erlernen! Wir wollen uns das Aikido zu eigen machen! Jede noch so kleine Bewegung der Trainer und älteren Schüler wird genau beobachtet. Der Wunsch, eine neue Sache zu lernen, verbindet sich mit einem frischen, lebendigen Gefühl zu stetigem Fortschritt.
Sollten wir nicht diese Einstellung für 5 Jahre, für 10 Jahre kontinuierlich beibehalten? Um auch nach vielen Jahren Training das Gefühl der vollkommenen Befriedigung wie zur Anfängerzeit zu erhalten, ist der Begriff ‚hakushi‘ ein wesentliches Element. Ich denke nicht, dass ein sehr intensives körperliches Training hundertprozentig falsch ist, aber man kann mit der gleichen Trainingsmethode nicht 20 oder 30 Jahren lang stetig fortfahren. Wann und wo sich Hinweise für den eigenen Fortschritt finden lassen, weiß ich nicht. Aber diese Hinweise finden sich im Anfängergeist. Wenn man z.B. denkt „Diese Technik kenne ich!“ und das als fixe Idee hegt, dann wird es schwierig, sich zu verändern.
‚Hakushi‘ bedeutet die Augen des Anfängers, das Herz des Anfängers. Das ist schwierig, und daher möchte ich nach einem Training streben, bei dem ich mich immer über neue Entdeckungen freue.
Schließlich war ich vom 8. bis zum 13. Mai, wie es nun jedes Jahr üblich ist, in Wladiwostok in Russland. Ich erinnere mich daran, dass ich 2002 das erste Mal als Begleiter von Shimizu Sensei nach Russland fuhr und mich etwas unruhig fühlte. Nun 12 Jahre später kommen jedes Jahr viele Schüler aus Russland nach Japan zum Training, und es findet mittlerweile etwa zweimal im Jahr ein Seminar in Wladiwostok statt. Es gab verschiedene Ereignisse und kontinuierlich neue Entdeckungen.
Mit einem reinen Herzen weiterzumachen, bedeutet im Training dasselbe wie ‚hakushi‘, und ich habe das Gefühl erfahren, dass das bei menschlichen Beziehungen ganz genauso ist. Und ganz wichtig ist es, dass das nicht auf Staatsebene abläuft, sondern dass es sich dabei um eine Beziehung von Mensch zu Mensch handelt.
© übersetzt von Ichiro Murata und Peter Nawrot 08/2014